[MeisterGrundel]

Von einem Gehöft nordöstlich von Prag fehlte einige Tage lang jede Meldung.
Als dann ein paar beherzte Nachbarn aufbrachen, sich durch Schnee und Kälte hindurch zum Drvahlacze-Hof durchkämpften, ware ihnen der Grund dafür schlagartig klar:

Das gesamte Anwesen war verwüstet, als hätte ein riesiges Monstrum dort gewütet. Mauern waren eingerissen, Zäune niedergetrampelt, ein Teil der Scheune war abgebrannt, nachdem offenbar eine Lampe dort zu Bruch gegangen war. Viele Tiere waren entkommen (nur um kurz darauf in der Kälte zu verenden), einige lagen zerfleischt in ihrem Blut auf dem Gelände umher, als hätte sie ein riesiger Raubvogel in seinen Klauen gehabt - und dann sein Interesse an ihnen verloren.
Von der Familie, ein Ehepaar mit 3 Kindern von 12,13 und 15 Jahren fehlte auch nach gründlichster Suche jede Spur.

Sich schnell entfachenden Gerüchten zufolge erbt das Anwesen ein sehr weitläufig verwandter Großbauer in der Gegend, der schon lange sein Auge darauf geworfen haben soll.
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[MeisterGrundel]

Folgende Geschichte macht die Runde:
Ein paar völlig übermüdete und dem Anschein nach der Panik nahe Männer kamen in einer Prager Taverne an und brachen gleich, nachdem sie ihre Kehlen angemessen befeuchtet hatten, mit ihrem Anliegen los:

„Ihr könnt es euch nicht vorstellen. Schreckliche Dinge halten unser Dorf in Atem. Immer wieder verschwinden junge Frauen au unserm Dorf, immer nur in der Nacht und wir haben bis jetzt immer noch kein Lebenszeichen von ihnen gefunden. Wir haben nichts gefunden, weder ihre Leichen noch einen Anhaltspunkt wohin man sie gebracht hat.

Am Anfang dachten wir, dass ein paar Wegelagerer sie entführt hätten um sie entweder zu schänden oder gegen etwas Nahrung zu tauschen. Aber nichts geschah und es verschwinden jede Nacht weiter Mädchen. Wir wussten nicht, was wir machen sollten, bis eines Nachts einer unserer jungen Hirten zwei Männer die alte Burgruine hier in der Nähe verlassen sah. Sie ritten Richtung Stadt und da wir nicht weiter wussten, haben wir mit allen Männern des Dorfes auf die Rückkehr dieser beiden Männer gewartet um sie zur Rede zu stellen oder sie Notfalls sogar zu bekämpfen.

Sie kamen wirklich wieder und der eine von ihnen, es muss ein Adeliger gewesen sein, denn er sprach sehr merkwürdig, wie es bestimmt nur die Adeligen tun, dieser Mann sagte uns, das wir die Frauen in der Stadt finden können. Er behauptete, sie seien in ein Hurenhaus verschleppt worden, wo man ihnen gar schreckliche Dinge antun würde. Bitte, ihr müsst uns weiterhelfen, eines der Mädchen ist meine Tochter, meine einzige Tochter und sie ist schon einem großen Bauern versprochen, ich muss sie wiederhaben, sonst wird er mir alles nehmen was ich habe und wie soll ich dann meine restliche Familie ernähren….“

Da sich die Männer offenbar in mehreren Tavernen um Hilfe umsehen, macht die Geschichte in Prag schnell die Runde, mit unterschiedlichen Details.
Mal wird der Drvahlacze-Hof dazu erwähnt, mal nicht, und andere Kleinigkeiten ändern sich, aber im Großen und Ganzen kann man überall in der Stadt die gleichen Kernpunkte der Erzählung vernehmen.

Es finden sich auch einzelne, die den Männern spontan Hilfe zusagen, aber es bleibt natürlich abzuwarten, inwieweit da die Stimmung und der Alkoholkonsum des Abends sprachen.

Der Großteil der tratschenden Bevölkerung Prags hingegen beschäftigt sich mit der Frage, welches Hurenhaus gemeint sein könnte. Natürlich fällt der Name "Schwarze Rose" erstaunlich oft in diesem Zusammenhang, ist es doch das bekannteste Etablissement dieser Art und ist schon seit längerem Gegenstand des öffentlichen Interesses, nicht unbedingt im wohlwollenden Sinne.

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[MeisterGrundel]

In einer der nächsten Nacht kehrten die Männer wieder in die gleiche Taverne zurück, um zu erfahren ob der Wirt etwas neues für sie hätte.
Leider schien er das nicht zu haben.

Die Männer konnten aber berichten, dass eines der verschwundenen Mädchen tot in der Nähe der Moldau aufgefunden wurde. Einige Bettler hatten gesehen wie eine verhüllte zierliche Gestallt die Leiche der Frau dort abgelegt hatte. Diese sei dann aber wie von Geisterhand verschwunden.

Die Männer machten sich natürlich große Sorgen um diese Angelegenheit. Hier und da wurden Vermutungen angestellt, dass der Blutkult etwas mit der Sache zu tun habe. Wer weiß, was dessen überbleibende Mitglieder für dunkle Riten praktizierten, die ihnen allerlei Zauberkräfte verliehen.

Warum sonst sollte eine zierliche Gestalt eine Leiche ablegen?
Leichen gehörten zu großen groben Kerlen, nicht zu jungen Damen.. und überhaupt, welche junge Dame (in eine solche hatte sich die zierliche Gestalt bald verwandelt auf ihrem Weg von Mund zu Mund und Ohr zu Ohr) hatte die Kraft, so scheinbar mühelos eine Leiche zu tragen?

Vereinzelt wurde gemurrt, dass der Bischof etwas unternehmen solle gegen diese überbleibenden Kultisten. Die Maßnahmen bisher waren gut und fanden regen Anklang bei der Bevölkerung, aber offenbar musste noch etwas mehr getan werden.
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[MeisterGrundel]

Das Interesse der Prager an dieser Angelegenheit, und daher auch ihr Redestrom, reißt einfach nicht ab.
Inzwischen erzählt man sich, dass diese unbekannte zierliche Gestalt, bei der man schon übereingekommen war, dass es sich um eine Frau handeln müsse, ein kleines blondes Mädchen mit goldenen Locken gewesen sei.
Dass auf diese Weise Neuigkeiten erst im Nachhinein auftraten, war für niemanden eine Überraschung, denn das kollektive Gedächtnis der Stadt funktionierte oft genau anders herum wie das eines Menschen: Details waren nicht am Anfang bekannt und wurden dann vergessen, sondern kamen erst nach und nach ans Licht.
Das Problem war nur, dass es nicht bei widerspruchsfreien Details blieb...

Kurze Zeit später fand man Neues heraus:
Bei der zierlichen Frau, die die Leiche am Fluss abgelegt hatte, soll es sich um eine der Huren in der Schwarzen Rose gehandelt haben. Dort trafen sich ja eh die Diener des Teufels, um Gottes Diener zu verführen und sie vom rechten Weg abzubringen. Und solche Teufelsdiener waren sicherlich auch in der Lage dazu, gottesfürchtige Menschen zu töten.. Wer wusste denn nicht schon, welche Praktiken dort getrieben wurden? Vielleicht waren sie auch Schuld an dem Nebel, wo Leute verschwanden? Und waren es nicht wehrlose Frauen, die verschwunden waren? Was war, wenn diese dort verhext und zum Dienst am Teufel gezwungen wurden?
Die Leiche war vielleicht ein Unfall gewesen.. oder doch schreckliche Absicht?

Beide dieser Versionen fanden Anhänger und Verfechter, einige besonders gut informierte Kerle und Weiber bestanden gar darauf, dass beides stimme: Ein kleines, blondes Mädchen sei zum Dienst am Teufel gezwungen worden, indem es nun als Hure arbeiten müsse, und verführe nun andere, die ihr Schicksal teilen müssten...
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